Hilfe zur Selbsthilfe: Blinden und Sehbehindertenverein für den Kreis Mettmann e.V. „Man muss für seine Rechte kämpfen“: Ein Leben mit Sehbehinderung

Erkrath · Bis zu seiner Erkrankung führte Herwart Schütte aus Unterfeldhaus ein aktives Leben. Er stand mit beiden Beinen im Berufsleben, flog für seinen Arbeitgeber weltweit von einem Meeting zum nächsten, fuhr in Urlaub und konnte seinen Alltag ohne große Probleme bewältigen. Doch vor 15 Jahren, Herwart Schütte war 57 Jahre jung, wendete sich unerwartet das Blatt.

Herwart Schütte aus Unterfeldhaus trifft mit seinem Langstock, auf den er durch seine Sehbehinderung angewiesen ist, immer wieder auf Hindernisse im Alltag. So wie hier an einer Bushaltestelle am Neuenhausplatz, wo die Hecke durch den Zaun wuchert und damit erschwerte Bedingungen schafft. Zum einen bleibt der Erkrather mit seinem Langstock beim Ertasten des Gehweges im Gestrüpp hängen und zum anderen wächst die Hecke an manchen Stellen auf Kopfhöhe durch den Zaun und bildet damit ein Verletzungsrisko für Menschen mit stark eingeschränktem Sichtfeld.

Foto: nic

AMD - drei auf den ersten Blick harmlose Buchstaben, die allerdings auf den zweiten Blick für eine beunruhigende Diagnose stehen. Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) betrifft überwiegend Menschen über 50 Jahren und bildet die Hauptursache für eine mögliche Erblindung dieser Altersgruppe. Sie betrifft einen kleinen zentralen Teil der Netzhaut - der Makula - die für das scharfe Sehen zuständig ist. Die „Trockene Makuladegeneration“ ist im Gegensatz zur „Feuchten Makuladegeneration“ mit bis zu 80 Prozent der Fälle die deutlich häufigere Form. Betroffene schildern die Symptome mit verschwommenem oder verzerrten Sehen oder aber zentrale Gesichtsausfälle.

„Die Diagnose war zunächst ein Schock für mich“, erinnert sich Herwart Schütte (72 Jahre). Doch im Laufe der Zeit akzeptiert er die Krankheit und versucht, das Beste daraus zu machen. „Für mich ist meine Selbstständigkeit im Rahmen meiner Möglichkeiten sehr wichtig.“ Wenn Herwart Schütte vor die Türe geht, hat er immer sein Langstock dabei. Dieser ermöglicht es ihm, auch ohne Begleitung, von A nach B zu kommen. Allerdings geschieht dies oftmals nicht ohne Hindernisse. „Da ich nur noch sehr wenig erkennen kann, das dann auch noch sehr unscharf und auch Entfernungen so gut wie gar nicht mehr abschätzen kann, ist es für mich nicht immer einfach“, sagt Herwart Schütte. Da gilt es beispielsweise Aufsteller, die häufig vor Ladenlokalen stehen, sicher zu umschiffen oder beim am Bürgersteig geparkten Transportern nach Möglichkeit nicht vor den Außenspiegel zu laufen und sich dabei böse zu verletzen. „Ich kann ja mit meinem Langstock nur bedingt meine Umwelt und den Weg, auf dem ich laufe ertasten. Alles, was sich beispielsweise bei mir in Schulter- oder Kopfhöhe befindet, ist für mich in der Regel nicht erkennbar.“ Schwierig wird es auch, wenn beispielsweise Hecken zu sehr in den Bürgersteig hineinragen und Herwart Schütte dann mit seinem Langstock in dem dichten Gestrüpp hängen bleibt. Blaue Flecken durch unfreiwillige Zusammenstöße sind also mehr oder weniger an der Tagesordnung.

Auch das Fahren mit Öffentlichen Verkehrsmitteln ist für sehbehinderte Menschen kein Zuckerschlecken. Davon kann beispielsweise Michaela Gurzinski ein Liedchen singen. „Oftmals ältere Menschen reagieren mit Unverständnis, wenn ich mich mit meinem Blindenführhund auf den Sitzplatz für Menschen mit körperlichen Einschränkungen setze. Sie nehmen mir nicht ab, dass ich durch meine Augenerkrankung einen Schwerbehindertenausweis habe und damit auch ein Anrecht auf diesen Sitzplatz habe.“ So passiert es nicht selten, dass sie mehr oder weniger freundlich aufgefordert wird, sich einen anderen Platz im Bus zu suchen. „Manche Passagiere werden dabei ziemlich unverschämt und beleidigend.“ Ein anderes Negativ-Beispiel sind einige Supermärkte: „Hier passiert es auch nicht selten, dass ich gemeinsam mit meinem Blindenführhund des Ladens verwiesen werde.“

Auf der Webseite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft heißt es aber dazu: „Nach § 12e Absatz 1 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) darf Menschen mit Behinderung der Zutritt zu Anlagen oder Einrichtungen, die typischerweise für den allgemeinen Publikums- und Benutzungsverkehr zugänglich sind, nicht wegen der Begleitung durch Assistenz- oder Blindenführhunde verweigert werden. Eigentümer, Besitzer und Betreiber solcher Anlagen und Einrichtungen - hierzu zählen auch Lebensmittelunternehmer - trifft in diesen Fällen also eine Duldungspflicht. Diese gilt, solange der Zutritt mit Assistenzhund nicht eine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen würde. Beim Mitführen von Blindenführ- und anderen Assistenzhunden in Lebensmittelgeschäften kommt eine solche Belastung aus hygienischen Gründen normalerweise nicht in Betracht. In diesem Fall muss lediglich darauf geachtet werden, dass die Tiere nicht mit Lebensmitteln in Berührung kommen und diese verunreinigen.

Das dürfte jedoch unproblematisch sein und ist nicht zu erwarten, weil Assistenzhunde besonders geschult und diszipliniert sind und im Lebensmitteleinzelhandel Waren üblicherweise verpackt zum Verkauf angeboten oder durch geeignete Thekensysteme geschützt werden.“

Ergo, Menschen mit einem Blindenführhund darf der Zutritt in einen Supermarkt nicht verweigert werden.

Michaela Gurzinski erkrankte vor 20 Jahren an „Retinopathia Pigmentosa “. Damals war sie erst 28 Jahre jung: „Ich war gerade mitten im Studium und hatte vermehrt Schwierigkeiten mit dem sehen“, erinnert sie sich. „Meinen Abschluss zur Diplom-Psychologin (Arbeitspsychologie) konnte ich noch ohne Hilfsmittel machen. Im Beruf später wurde es aufgrund meines immer kleiner werdenden Gesichtsfeldes schwieriger, der digitalen Herausforderung gewachsen zu bleiben.“ Während ihres Berufslebens war sie als Arbeitsvermittlerin und später Fallmanagerin im Jobcenter tätig. Ihr Schwerpunkt lag dabei auf der Beratung von Menschen mit Schwerbehinderung oder in beruflichen Rehabilitationsverfahren.

Seit Mai vergangenen Jahres ist Michaela Gurzinski in Frührente und engagiert sich im Blinden und Sehbehindertenverein für den Kreis Mettmann e.V. Genauso wie Herwart Schütte, der erfolgreich im Orga-Team des Vereins tätig ist.

Michaela Gurzinski ist seit März 2024 zweite Vorsitzende des Vereins. Mit Tamara Ströter (erste Vorsitzende), Jessica van Bebber, Petra Clemens-Keoke und Sandra Klein (alle Beisitzerinnen) bilden sie den Vorstand.

Ein wichtiger Fokus des Vereins ist unter anderem, die Interessenvertretung in den Kommunen und dem Kreis Mettmann. Darüber hinaus bildet der Verein eine qualifizierte „Blickpunkt Auge Beratungsstelle“, die in Sachen Schwerbehindertenausweis, Blindengeld, Hilfsmitteln und vielem mehr berät. „Außerdem bieten unsere regelmäßigen offenen Treffen in verschiedenen Städten die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedern an.“ Das nächste Treffen findet am 9. November, 14.30 bis 16.30 Uhr, bei der AWO Hilden, Schulstraße 35 statt. Eingeladen ist das Inklusions-Prinzenpaar von Hilden. Weitere Erfahrungsaustauschs-Treffen sind für folgende Termine geplant:

11. November, 12.30 Uhr, Café im Forum Niederberg, Oststraße 20, Velbert
26. November, 17 Uhr, Forum Lotsenpunkt, Düsseldorfer Straße 38, Ratingen

2. Dezember, 17 Uhr, Ratskeller, Hauptstraße 144, Heiligenhaus
9. Dezember, 12.30 Uhr, Café im Forum Niederberg, Oststraße 20, Velbert
14. Dezember, 14.30 Uhr, AWO Hilden, Schulstraße 35, Hilden

Wir freuen uns über jeden, der den Weg zu uns in den Verein findet“, sagt Michaela Gurzinski. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen weiß sie, wie schwer einem das Leben mit einer Behinderung gemacht werden kann. „Man muss wirklich für seine Rechte in vielen Fällen kämpfen und sich ein dickes Fell zulegen.“ Der Blinden und Sehbehindertenverein für den Kreis Mettmann e.V. möchte in solchen oder aber auch in anderen Fällen aktive Hilfe anbieten. Wer mehr über den Verein erfahren möchte, findet weitere Informationen auf der Webseite https://www.bsvkme.de/. 

Der Wirkungsbereich des Vereins liegt in den Städten Erkrath, Haan, Heiligenhaus, Hilden, Mettmann, Ratingen, Velbert und Wülfrath.

(nic)