„Deine Briefe sind mir Heimat...“

Hochdahl · Zwei graue Pappschachteln bringen 74 Jahre nach Kriegsende authentisch ein Zeitzeugnis zu Tage, wie es so kaum irgendwo erhalten geblieben ist.

Ein Ausschnitt eines Briefs von Wolfgang Wohlenberg an seinen Vater, den er in der Weihnachtszeit schrieb und künstlerisch gestaltete. Das Original des gesamten Briefblatts ist kaum größer als DIN A5.

Foto: D. Kühl-Martini

(RG) Aus dem Nachlass eines Freundes der Familie hat Dorothea Kühl-Martini einen "Zeitzeugen-Schatz" aus der NS-Zeit gehoben, der authentischer nicht sein könnte. In einem von ihr inszenierten Theaterstück, das am 29. März um 19.30 Uhr im Gemeindehaus Sandheide uraufgeführt wird, kann das Publikum daran teilhaben. "Wolfgang Wohlenberg war ein Schulfreund meines Vaters, der über die Jahre Teil der Familie wurde. Nach dem Tod meines Vaters habe ich ihn weiter regelmäßig in Berlin besucht", erinnert sich Dorothea Kühl-Martini. Wohlenberg bat sie eines Tages nach seinem Tod seines Nachlass zu regeln. Er war der letzte der Familie Wohlenberg, hatte keine Kinder und auch die Lebenspartnerin verstarb Jahre vor ihm. Als er selbst dann im letzten Jahr 90-jährig verstarb, sah Kühl-Martini sich vor der Herausforderung eine Acht-Zimmer-Mietwohnung in Berlin leerzuräumen, in der die Familie Wohlenberg, wie ein Mietvertrag von 1900 bezeugte, seit mehr als hundert Jahren gelebt hatte.

Wolfgang Wohlenberg würde man heute als hochintelligent bezeichnen. Bis zu seinem Tode hatte der studierte Mathematiker noch interessiert am Weltgeschehen teilgenommen, täglich mehrere Zeitungen am Kiosk gekauft, um über alles informiert zu sein. Neben unzählbaren literarischen Werken fand Dorothea Kühl-Martini allein 8.000 Bücher über Mathematik. Aber sie fand in der Wohnung in der Kantstraße auch sehr viele persönliche Unterlagen über die Familie Wohlenberg, alte Fotos und das Auftragsbuch des Vaters. Der Restaurator und Radierer hat häufig für die Berliner Prominenz gearbeitet hat, wie man an den Namen seiner Auftraggeber ablesen kann. Während der Kriegsjahre fehlte es an Aufträgen und so wusste der Vater manches Mal nicht, wovon er die Miete bezahlen sollte.

Großvater Albert Wohlenberg war Kunstmaler, hat um 1880 in Paris gelebt und eine Französin geheiratet. In Paris ist auch Wolfgang Wohlenbergs Vater zur Welt gekommen, der später in Berlin eine jüdische Pianistin heiratete. Diesem Hintergrund ist auch der bedeutendste Fund in Wolfgang Wohlenbergs Nachlass geschuldet. Der steckte in zwei unscheinbaren Pappschachteln, die Briefe von Vater und Sohn enthielten, die die beiden sich im letzten Kriegsjahr geschrieben haben. Wolfgang Wohlenbergs Mutter hat nach der Reichsprogromnacht Deutschland gerade noch rechtzeitig Richtung London verlassen. Im Krieg brach die Kommunikation mit ihr ab. Sohn Wolfgang wähnte man beim Vater in Sicherheit, aber nachdem die Nazis die Gesetze immer weiter verschärften geriet Wolfgang Wohlenberg ins Arbeitslager. Aus dieser Zeit stammen die Briefe, die der besorgte Vater und sein Sohn sich schrieben, in denen sie in dieser Zeit eine enge Beziehung zueinander entwickelten. Die Anlagen des Mathematikers sind bereits in den akkurat geschriebenen Briefen des 18-jährigen zu erkennen.

Miniaturzeichnungen in einigen Briefen deuten darauf hin, dass er auch das künstlerische Talent seines Großvaters geerbt hat. Die Briefe der beiden lassen das letzte Kriegsjahr in Berlin und am Edersee, wohin es Wolfgang Wohlenberg ins Arbeitslager verschlagen hatte, lebendig werden. Etwa 14 Tage hat Dorothea Kühl-Martini gebraucht, bis sie alle Briefe des Sohnes gelesen hatte. Rund drei Monate dauerte das Entziffern der Briefe des Vaters, der zum Teil noch in Sütterlin geschrieben hat. Dr. Heinrich Strothmann aus Hochdahl hat ihr beim Entziffern geholfen.

Auf die Uraufführung des Theaterstücks, dessen Titel aus einem von Wolfgang Wohlenbergs Briefen stammt, darf man gespannt sein. Vater und Sohn Wohlenberg werden von Marten Pfeifer und Tim Kunz gespielt, die musikalische Begleitung auf Klavier und Cello übernehmen Christiane und Sophia Morys. Originalfotos aus dem Nachlass lassen die Geschichte noch authentischer erscheinen. Der Eintritt kostet 8 Euro. Eintrittskarten gibt es im Vorverkauf in der Buchhandlung Weber.