Brieftaubenzüchter aus Leidenschaft Den inneren Kompass immer dabei
Kreis. · Wer einen schlechten Orientierungssinn hat, der kann Tauben nur bewundern. Sie finden ihren Heimatort immer, auch wenn sie noch so viele Kilometer von ihm getrennt sind.
Wie sich die kleinen grauen Flieger orientieren, darüber streitet sich die Wissenschaft noch. Die einen sagen, dass maßgeblich das Erdmagnetfeld und der Sonnenstand den Tieren beim Heimflug helfen, andere sagen, dass die Tauben eine Art Duft-Landkarte ihrer Heimat erstellen. Anhand der Gradienten bestimmter Geruchsstoffe in der Luft erkennen sie dann in der Ferne, wo ihr Zuhause liegt. So oder so - es ist faszinierend, was für ein großer Heimkehrwille in solch einem verhältnismäßig kleinem Vogel steckt. Genau dieser Faszination sind zahlreiche Taubenliebhaber auf der ganzen Welt verfallen. Eine von ihnen ist Rosemarie Kemp. Sie züchtet seit mehr als zwölf Jahren auf ihrem heimischen Bauernhof Brieftauben. Ihre kleinen meist grau (in der Fachsprache spricht man von blau) gefiederten Freunde sind wahre Hochleistungssportler. Das beweisen sie jedes Jahr aufs neue, wenn sie bei den Brieftauben-Flugwettbewerben zeigen, was in ihnen steckt. „Während der Flugsaison, die sich in der Regel von April bis September erstreckt, machen meine Tauben ordentlich Kilometer“, erklärt sie. Die ersten Flüge im Jahr erstrecken sich meist über 80 Kilometer und steigern sich auf Distanzen von bis zu 630 Kilometer. Bei optimalen Wetterbedingungen werden die Brieftauben jedes Wochenende geschickt. Am Vortrag eines jeden Distanzfluges werden die Tiere in ihren Reisekörben (Transportboxen) zum so genannten „Kabinenexpress“ gebracht, dieser fährt die Minisportler zu ihrem Auflassort - der Startpunkt des Wettfluges. Aufgelassen werden kann aber nur, wenn die Wetterbedingungen stimmen. Dafür ist der Flugleiter eines jeden Distanzfluges verantwortlich. Er überprüft vorher mittels professioneller Wetterdienste, ob die Tauben starten können. Bis zu 80 Kilometer pro Stunde können die Brieftauben auf so einem Distanzflug erreichen. Bei Rückenwind schaffen sie es sogar an nahezu 100 Kilometer pro Stunde. Während die Brieftauben ihrem Ziel Flügelschlag für Flügelschlag näher kommen, fiebern die Brieftaubenzüchter der Ankunft ihrer geliebten Tiere entgegen. „Minütlich geht dann der Blick nach oben und der Moment, in dem man die ersten seiner Tauben am Himmel erblickt, ist immer wieder aufs neue einer der Schönsten.“ Wann die Taube an ihrem heimischen Schlag ankommt und wie schnell sie auf dem Flug war, wird durch einen Fußring ermittelt, in dem sich ein Chip befindet. Bei Start und Ankunft läuft die Taube über eine Antenne, die die Tiere registriert. Die Daten werden später mithilfe eines Computers ausgewertet. Um die Flugleistungen der Tauben vergleichen zu können, wird die durchschnittliche Geschwindigkeit (Entfernung zum Schlag in Metern geteilt durch die Flugzeit in Minuten) ausgerechnet. Selbstverständlich fliegt nicht grundsätzlich jede Taube gegen jede andere. Ein- und mehrjährige Tauben fliegen grundsätzlich nicht gegen junge Tauben. Und obwohl ein- und mehrjährige Tauben gemeinsam aufgelassen werden, gibt es oft eine getrennte Konkurrenz. Um solche Höchstleistungen zu erbringen, hegen und pflegen die Brieftaubenzüchter ihre Tiere das ganze Jahr über. Täglich werden die Tauben für Freiflüge aus ihren Schlägen gelassen. Als so genannte Schwarmflieger sind sie immer in Gruppen am Himmel zu sehen. „Die Tauben trainieren sich quasi selbst und fliegen aus purer Lebensfreude“, sagt Rosemarie Kemp. Über 100 Brieftauben betreut die Züchterin aus dem Bergischen Land zusammen mit ihrem Mann Werner, die sich bereits seit 60 Jahre diesem Hobby intensiv widmet. Mehrmals am Tag geht es für die beiden auf ihre Taubenschläge, um die Tiere mit Futter und Wasser zu versorgen, sie frei fliegen zu lassen und ihre Schläge zu reinigen. Viel Arbeit, die aber auch viel Freude bereitet. Die meisten Tauben sind sehr zutraulich und die ein oder andere springt der Taubenzüchterin dann auch schon mal gerne auf die Schulter oder kommt zum Schmusen. „Andere wiederum sind kleine Kämpfer und sie versuchen dann immer wieder in meine Hand zu picken. Das ist natürlich nur ein Spiel, aber ich lasse sie immer gewinnen“, schmunzelt sie. Manchmal kommen ihre Tauben auch mit Verletzungen nach Hause, wenn beispielsweise der Habicht die Tiere angegriffen hat. Im Laufe der Jahre haben die Taubeneltern Kemp gelernt, auch solche Verletzungen zu verarzten und zu kurieren. In ganz schlimmen Fällen steht sonst auch schonmal eine Fahrt in die „Taubenklinik“ in Essen an. Sie wurde 1972 ins Leben gerufen - eine bis dahin weltweit einmalige Einrichtung, die dem Brieftaubenzüchter die Möglichkeit bietet, seine Tiere nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen behandeln zu lassen. Die Geschichte des Brieftaubensportes reicht bis ins Jahr 1834 (und vermutlich noch darüber hinaus) zurück. Damals gründete sich in Aachen der erste Brieftaubenzuchtverein mit dem Namen „La Colombe“, die „Brieftaube“. In Kriegsjahren bewährte sich die Brieftaube als abhörsichere Nachrichtenübermittlerin. So wie G.I. Joe, der eine berühmte Brieftaube der US-amerikanischen Armee mit Einsätzen in Nordafrika und Italien war. Zur Legende wurde er durch seinen Einsatz im Oktober 1943 im italienischen Calvi Vecchia. Die britischen Brigaden mussten der verbündeten US-Army die Nachricht zukommen lassen, dass sie die Stadt viel schneller als erwartet eingenommen hatten. Die Amerikaner waren nämlich bereits dabei, ihre Kampfflugzeuge loszuschicken. Und da kam unser kleiner gefiederter Freund ins Spiel. In Hochgeschwindigkeit legte G.I. Joe die 30 Kilometer zum Kommandostützpunkt zurück und konnte gerade noch den Luftangriff auf Calvi Vecchia verhindern. Bevölkerung und Militär hatten G.I. Joe ihr Leben zu verdanken. Einer Brieftaube.
Mehr Informationen rund um den Brieftaubensport gibt es im Internet auf www.brieftaube.de. Wer selbst am Brieftauben-Hobby interessiert ist, kann sich auch jederzeit an einen Taubenzüchter in seiner Nähe wenden.